Ganz ehrlich. Müsste ich für Warschau und seine begehrtesten Wohnviertel ein Prädikat finden, dann wäre es sicherlich nicht „hip“. Dafür ist die Stadt in meinen Augen zu differenziert und noch zu sehr von der kommunistischen Architektur geprägt. Zu stark dominieren hier - neben all den modernen Down-Town-Hochhäusern und komfortablen Wohnparzellen - die tristen Plattenbauten und die grauen Straßenzüge. „Hip“ sind höchstens ausgewählte Ecken, kleine Kieze und Teile der Warschauer Stadtviertel – da, wo das Leben pulsiert, wo die Trends geboren werden, wo verschiedene Welten aufeinander treffen. Und da „hip“ oft mit jung und single assoziiert wird, ziehe ich die ebensolche Brille auf: Wo lässt es sich in Warschau gut wohnen? Wo zieht es die Hippen hin? In den offiziellen Zufriedenheitsstatistiken landen folgende Stadtviertel ganz oben:

  • Żoliborz (sprich: scholibosch)
  • Śródmieście (sorry, die phonetische Schrift macht es auch nicht besser. Es bedeutet einfach Centrum oder City)
  • Wlochy (sprich: wuochi)
  • Wilanów (sprich: wilanuf)

Żoliborz: Der kultige Norden

Żoliborz, das flächenmäßig kleinste Stadtviertel Warschaus, punktet mit unzähligen Locations, wunderschönen Parks, großartigem Kulturangebot und der einen oder anderen architektonischen Raffinesse. In dem offiziellen Attraktivitäts-Ranking von 2017, durchgeführt von einem regionalen Meinungsforschungsinstitut* , landete das nördlich vom Zentrum gelegene und mit den Öffis sehr gut erreichbare Viertel auf Platz 1 bei Singles. Dabei zählt Żoliborz mit der überdurchschnittlich hohen Zahl von Rentnern zu den demografisch ältesten Stadtteilen Warschaus. Alt und Jung scheint hier aber in einer erstaunlichen Harmonie zu koexistieren.
Wer guten Kaffee sucht, wird im „Secret life cafe“ fündig. Und in dem Schwesterlokal „Ósma kolonia“ (Achte Kolonie) werden auch Vegetarier und Veganer glücklich. Wie zu Hause wird sich der Gast in „Dom“ fühlen: Das ist nicht etwa ein katholisches Bauwerk mit priesterlichem Beistand, sondern ein gemütliches, von außen stark privat anmutendes Lokal mit einem grünen Biergarten im Hinterhof, einer kleinen, aber äußerst gelungenen Speisekarte und einer wunderbar entspannten Atmosphäre. „Dom“ heißt im Polnischen nichts anderes als „Haus“.
Nur 500 Meter weiter südlich gibt es den „Targ Śniadanowy“ (Frühstücksmarkt), ein äußerst sympathischer Ort, der das Frühstücken unter freiem Himmel erfolgreich lanciert. Etwa 450 Essenständer bieten an jedem Wochenende – im Winter in einer Halle – gesunde und kreative Gerichte mit Musik, Worskhops und Kinderunterhaltung. Und wem es hier zu eng wird, der findet seine Ruhe in Kępa Potocka (sprich: kempa potozka), einem 18 Hektar großen Park direkt an der Weichsel.

Śródmieście: City-Herz mit Stalintorte

Warschaus Zentrum gilt schon aufgrund seiner optimalen Lage als attraktiv – selbst wenn hier überproportional viele Senioren leben und die wenigsten Kinder geboren werden. „Śródmieście“ umfasst neben der Altstadt auch die modernsten Bürogebäude, Hotels, Einkaufscenter, Museen und Theater. Hier schlägt auch das politische Herz der polnischen Hauptstadt: Das Präsidentenpalais, Sejm (Parlament), wichtige Ämter und zahlreiche Ministerien sorgen für ein aufgeräumtes, apartes Stadtbild. Mit den meisten registrierten Unternehmen konzentriert sich hier auch die Warschauer Kaufkraft. Doch nicht die mondäne Architektur und auch nicht die Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern macht die City zum zweitattraktivsten Stadtviertel unter den Singles. Es ist hauptsächlich das Kulturangebot, die Lebensqualität und die Grünflächen. Über 56 % aller Kulturschaffenden der Stadt arbeiten im Zentrum. Die gewöhnliche Wohnungsgröße in der City übersteigt den Warschauer Durchschnitt um 17 m², der Immobilienkauf in der Gegend aber auch die Kapazitäten eines normalen Geldbeutels. „Śródmieście“ hat mit knapp 21 % den größten Anteil an Grünflächen in ganz Warschau und das mitten in der Metropole.
Das unübersehbare Herz der City bildet der Kultur- und Wissenschaftspalast, der im Warschauer Volksmund „Stalintorte“ oder „Stalins Rache“ heißt, am häufigsten aber einfach „Pekin“ (polnisch für Peking) und das aufgrund der ähnlich klingenden Abkürzung: PKiN (für „Pałac Kultury i Nauki“). Der in nur drei Jahren (1952 – 1955) im Baustil des Sozialistischen Klassizismus erbaute Wolkenkratzer ist mit 237 Metern bis heute das höchste Gebäude Polens. Als Symbol der totalitären Unterdrückung - denn auf Anordnung der sowjetischen Führungsriege errichtet - war das Bauwerk lange verhasst. Heute ist es längst zum beliebten Kulturzentrum geworden und beherbergt Kinos, Theater und Museen, aber auch Cafés, Restaurants, Ausstellungen und Messen. In der City gibt es unzählige  kreative Restaurants, Bars und Cafés, die leider von der Servicequalität des Öfteren einer Essensausgabe gleichen – der gemeine Warschauer ist eben meist gemein. Trotz der hohen kulinarischen Dichte und des oft rauen Tons sind die Preise in der City oft überhöht. Dafür gehören die Taxis zu den günstigsten in der Welt, die Staus stehen aber auch dem New Yorker Traffic in nichts nach, das Vorankommen im Berufsverkehr ist also schwierig bis unmöglich, günstige Taxis hin oder her.

Die drei P: Praga Północ, Południe und Powiśle

An der dritten Stelle auf der Beliebtheitsskala bei den Singles – und an der Spitze bei den Familien in der bereits zitierten Statistik –  landet erstaunlicherweise das Stadtviertel Włochy. Das halte ich für ein Versehen oder eine bewusste Zahlenmanipulation, um bestimmte – in dem Fall  fluglärmgeplagte – Gegenden schön zu reden. Auch das recht populäre, aber ebenso oft belächelte Wilanów, am westlichen Ufer der Weichsel und am Südrand der Stadt gelegen, möchte ich hier außer Acht lassen. Auch wenn die Yuppie-Enklave bzw. das Trabantenstädtchen „Wilanów-Stadt“ zweifelsfrei die Gemütlichkeit einer Vorstadt mit der urbanen Präsenz einer Großstadt verbindet.
Wenn ich aber an „hip“ denke, zwingen sich mir viel eher die in den offiziellen Statistiken wenig populären Wohnviertel Praga und Powiśle auf.
Es sind wohl die zwei coolsten Party-Stadtteile Warschaus, ähnlich berühmt-berüchtigt wie Neukölln oder Kreuzberg in Berlin. Powiśle, vor kurzem noch ein heruntergekommener Bezirk mit zwielichtigen Spelunken und schäbigen Tante-Emma-Läden, hat ich in der letzten Zeit zu einem hippen Modebezirk mit schicken Cafés und explodierenden Mietpreisen entwickelt. Das benachbarte, nur durch die Weichsel getrennte Praga – mit Praga Północ (Nord) und Południe (Süd) - galt schon mal als die „Bronx“ Warschaus, doch der schlechte Ruf ist längst Geschichte. Praga ist die zweite Partymeile der Hauptstadt: mit coolen Clubs, malerisch-morbiden Filmkulissen und der wohl alternativsten Kunst- und Mode-Szene der polnischen Metropole. Praga hat aber auch eine schöne, authentische, im Krieg ausnahmsweise nicht zerstörte  Altstadt mit einer Reihe von gut erhaltenen Gründerzeithäusern und dunklen Innenhöfen, in denen sich Antiquariate und Second-Hand-Geschäfte angesiedelt haben.

Warschau ist schwer greifbar und extrem dynamisch: Die Trends platzen hier herein und zerplatzen wieder. Die Bezirke verändern dramatisch schnell ihr Gesicht, auch wenn die kommunistische Platte das Stadtbild wohl für immer beherrschen wird. Weder die geschmackvollen, alten Villen oder die mondänen Paläste noch die futuristischen Wolkenkratzer täuschen über die architektonische Verschandelung durch die kommunistische Bauweise hinweg. Alt und jung, reich und arm, urban und ländlich prallen hier wuchtiger aufeinander als in anderen europäischen Metropolen. Die Yuppies in schicken Wagen, mit blassen, durch die 60-Stunden-Woche gezeichneten Workoholic-Gesichtern gehören ebenfalls dazu wie die nonchalante Bohéme und wie die armen alten Omas mit ihrem Kopftüchern und dem charakteristischen weichem Dialekt. Das chaotische Straßenverkehr und die unzähligen Dauer-Baustellen sind nichts für schwache Nerven. Aber "hip" ist Warschau manchmal auch.

Wenn du Lust hast, herauszufinden, wie hip die Stadt wirklich ist, aber noch keine Bleibe hast, schau bei Spotahome vorbei. Hier gibt passende WG-Zimmer oder möblierte Wohnungen.

*Zufriedenheitsanalyse, Masowisches Regionalforschungsinstitut (Mazowiecki Ośrodek Badań Regionalnych), 2017